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Iphigenie. Pylades.

Iphigenie.
Woher du seist und kommst, o Fremdling, sprich!
Mir scheint es, dass ich eher einem Griechen
Als einem Scythen dich vergleichen soll.
(Sie nimmt ihm die Ketten ab.)
Gefaehrlich ist die Freiheit, die ich gebe;
Die Goetter wenden ab was euch bedroht!

Pylades.
O suesse Stimme! Vielwillkommner Ton
Der Muttersprach' in einem fremden Lande!
Des vaeterlichen Hafens blaue Berge
Seh' ich Gefangner neu willkommen wieder
Vor meinen Augen. Lass dir diese Freude
Versichern, dass auch ich ein Grieche bin!
Vergessen hab' ich einen Augenblick,
Wie sehr ich dein bedarf, und meinen Geist
Der herrlichen Erscheinung zugewendet.
O sage, wenn dir dein Verhaengniss nicht
Die Lippe schliesst, aus welchem unsrer Staemme
Du deine goettergleiche Herkunft zaehlst.

Iphigenie.
Die Priesterin, von ihrer Goettin selbst
Gewaehlet und geheiligt, spricht mit dir.
Das lass dir g'nuegen; sage, wer du seist
Und welch unselig-waltendes Geschick
Mit dem Gefaehrten dich hierher gebracht.

Pylades.
Leicht kann ich dir erzaehlen, welch ein uebel
Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt.
O koenntest du der Hoffnung frohen Blick
Uns auch so leicht, du Goettliche, gewaehren!
Aus Kreta sind wir, Soehne des Adrasts:
Ich bin der juengste, Cephalus genannt,
Und er Laodamas, der aelteste
Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild
Ein mittlerer, und trennte schon im Spiel
Der ersten Jugend Einigkeit und Lust.
Gelassen folgten wir der Mutter Worten,
So lang des Vaters Kraft vor Troja stritt;
Doch als er beutereich zuruecke kam
Und kurz darauf verschied, da trennte bald
Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister.
Ich neigte mich zum aelt'sten. Er erschlug
Den Bruder. Um der Blutschuld willen treibt
Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch diesem wilden Ufer sendet uns
Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu.
Im Tempel seiner Schwester hiess er uns
Der Huelfe segensvolle Hand erwarten.
Gefangen sind wir und hierher gebracht,
Und dir als Opfer dargestellt. Du weisst's.

Iphigenie.
Fiel Troja? Theurer Mann, versichr' es mir.

Pylades.
Es liegt. O sichre du uns Rettung zu!
Beschleunige die Huelfe, die ein Gott
Versprach. Erbarme meines Bruders dich.
O sag' ihm bald ein gutes holdes Wort;
Doch schone seiner wenn du mit ihm sprichst,
Das bitt' ich eifrig: denn es wird gar leicht
Durch Freud' und Schmerz und durch Erinnerung
Sein Innerstes ergriffen und zerruettet.
Ein fieberhafter Wahnsinn faellt ihn an,
Und seine schoene freie Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.

Iphigenie.
So gross dein Unglueck ist, beschwoer' ich dich,
Vergiss es, bis du mir genug gethan.

Pylades.
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
Dem ganzen Heer der Griechen widerstand,
Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf.
Doch manche Graeber unsrer Besten heissen
Uns an das Ufer der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit seinem schoenen Freunde.

Iphigenie.
So seid ihr Goetterbilder auch zu Staub!

Pylades.
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie sahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.

Iphigenie.
Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch!
Ich werd' ihn sehn! O hoffe, liebes Herz!

Pylades.
Doch selig sind die Tausende, die starben
Den bittersuessen Tod von Feindes Hand!
Denn wueste Schrecken und ein traurig Ende
Hat den Rueckkehrenden statt des Triumphs
Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch?
So weit sie reicht, traegt sie den Ruf umher
Von unerhoerten Thaten die geschahn.
So ist der Jammer, der Mycenens Hallen
Mit immer wiederholten Seufzern fuellt,
Dir ein Geheimniss? Klytaemnestra hat
Mit Huelf' aegisthens den Gemahl berueckt,
Am Tage seiner Rueckkehr ihn ermordet!--
Ja, du verehrest dieses Koenigs Haus!
Ich seh' es, deine Brust bekaempft vergebens
Das unerwartet ungeheure Wort.
Bist du die Tochter eines Freundes? bist
Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?
Verbirg es nicht und rechne mir's nicht zu,
Dass ich der Erste diese Graeuel melde.

Iphigenie.
Sag' an, wie ward die schwere That vollbracht?

Pylades.
Am Tage seiner Ankunft, da dir Koenig
Vom Bad erquickt und ruhig, sein Gewand
Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg,
Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und kuenstlich sich verwirrendes Gewebe
Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;
Und da er wie von einem Netze sich
Vergebens zu entwickeln strebte, schlug
aegisth ihn, der Verraether, und verhuellt
Ging zu den Todten dieser grosse Fuerst.

Iphigenie.
Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne?

Pylades.
Ein Reich und Bette, das er schon besass.

Iphigenie.
So trieb zur Schandthat eine boese Lust?

Pylades.
Und einer alten Rache tief Gefuehl.

Iphigenie.
Und wie beleidigte der Koenig sie?

Pylades.
Mit schwerer That, die, wenn Entschuldigung
Des Mordes waere, sie entschuldigte.
Nach Aulis lockt' er sie und brachte dort,
Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt
Mit ungstuemen Winden widersetzte,
Die aelt'ste Tochter, Iphigenien,
Vor den Altar Dianens, und sie fiel
Ein blutig Opfer fuer der Griechen Heil.
Diess, sagt man, hat ihr einen Widerwillen
So tief in's Herz gepraegt, dass sie dem Werben
aegisthens sich ergab und den Gemahl
Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang.

Iphigenie (sich verhuellend).
Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.

Pylades (allein).
Von dem Geschick des Koenigs-Hauses scheint
Sie tief geruehrt. Wer sie auch immer sei,
So hat sie selbst den Koenig wohl gekannt
Und ist, zu unserm Glueck, aus hohem Hause
Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz,
Und lass dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt,
Mit frohem Muth uns klug entgegen steuern.