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Orest. Pylades.

Orest.
Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller.
Als ich Apollen bat, das graessliche
Geleit der Rachegeister von der Seite
Mir abzunehmen, schien er Huelf' und Rettung
Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester,
Die ueber Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen
Gewissen Goetterworten zu versprechen;
Und nun erfuellet sich's, dass alle Noth
Mit meinem Leben voellig enden soll.
Wie leicht wird's mir, dem eine Goetterhand
Das Herz zusammendrueckt, den Sinn betaeubt,
Dem schoenen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus Enkel in der Schlacht
Ein siegbekroentes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater,
Als Opferthier im Jammertode bluten:
So sei es! Besser hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel, wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmoerder stellt.
Lasst mir so lange Ruh, ihr Unterird'schen,
Die nach dem Blut ihr, das von meinen Tritten
Hernieder traeufelnd meinen Pfad bezeichnet,
Wie losgelass'ne Hunde spuerend hetzt.
Lasst mich, ich komme bald zu euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich.
Der Erde schoener gruener Teppich soll
Kein Tummelplatz fuer Larven sein. Dort unten
Such' ich euch auf: dort bindet alle dann
Ein gleich Geschick in ew'ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades, dich, meiner Schuld
Und meines Banns unschuldigen Genossen,
Wie ungern nehm' ich dich in jenes Trauerland
Fruehzeitig mit! Dein Leben oder Tod
Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.

Pylades.
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit,
In jenes Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu fuehren scheinen,
Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn' und horche,
Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht
Die Goetter Rath und Wege zubereiten.
Der Tod, gefuerchtet oder ungefuerchtet,
Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon, unsre Locken weihend abzuschneiden,
Die Hand erhebt, soll dein' und meine Rettung
Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmuth deine Seele; zweifelnd
Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab uns das Wort: im Heiligthum der Schwester
Sei Trost und Huelf' und Rueckkehr dir bereitet.
Der Goetter Worte sind nicht doppelsinnig,
Wie der Gedrueckte sie im Unmuth waehnt.

Orest.
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um das zarte Haupt,
Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein stummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
Wie oft, wenn still Elektra, meine Schwester,
Am Feuer in der tiefen Halle sass,
Draengt' ich beklommen mich an ihren Schoos,
Und starrte, wie sie bitter weinte, sie
Mit grossen Augen an. Dann sagte sie
Von unserm hohen Vater viel: wie sehr
Verlangt' ich ihn zu sehn, bei ihm zu sein!
Mich wuenscht' ich bald nach Troja, ihn bald her.
Es kam der Tag--

Pylades.
O lass von jener Stunde
Sich Hoellengeister naechtlich unterhalten!
Uns gebe die Erinnrung schoener Zeit
Zu frischem Heldenlaufe neue Kraft.
Die Goetter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem Dienst auf dieser weiten Erde.
Sie haben noch auf dich gezaehlt; sie gaben
Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach dem Orcus ging.

Orest.
O, waer' ich, seinen Saum ergreifend, ihm
Gefolgt!

Pylades.
So haben die, die dich erhielten,
Fuer mich gesorgt: denn was ich worden waere,
Wenn du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken;
Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb' und leben mag.

Orest.
Erinnre mich nicht jener schoenen Tage,
Da mir dein Haus die freie Staette gab,
Dein edler Vater klug und liebevoll
Die halberstarrte junge Bluethe pflegte;
Da du ein immer munterer Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling
Um eine dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukeltest,
Mir deine Lust in meine Seele spieltest,
Dass ich, vergessend meiner Noth, mit dir
In rascher Jugend hingerissen schwaermte.

Pylades.
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.

Orest.
Sag: meine Noth begann, und du sprichst wahr.
Das ist das aengstliche von meinem Schicksal,
Dass ich, wie ein verpesteter Vertriebner,
Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage;
Dass, wo ich den gesund'sten Ort betrete,
Gar bald um mich die bluehenden Gesichter
Den Schmerzenszug langsamen Tod's verrathen.

Pylades.
Der Naechste waer' ich diesen Tod zu sterben,
Wenn je dein Hauch, Orest, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Muth und Lust?
Und Lust und Liebe sind die Fittige
Zu grossen Thaten.

Orest.
Grosse Thaten? Ja,
Ich weiss die Zeit, da wir sie vor uns sahn!
Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg' und Thaeler rannten und dereinst
An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich
Mit Keul' und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Raeuber auf der Spur zu jagen hofften;
Und dann wir Abends an der weiten See
Uns aneinander lehnend ruhig sassen,
Die Wellen bis zu unsern Fuessen spielten,
Die Welt so weit, so offen vor uns lag;
Da fuhr wohl Einer manchmal nach dem Schwert,
Und kuenft'ge Thaten drangen wie die Sterne
Rings um uns her unzaehlig aus der Nacht.

Pylades.
Unendlich ist das Werk, das zu vollfuehren
Die Seele dringt. Wir moechten jede That
So gross gleich thun, als wie sie waechs't und wird,
Wenn Jahre lang durch Laender und Geschlechter
Der Mund der Dichter sie vermehrend waelzt.
Es klingt so schoen was unsre Vaeter thaten,
Wenn es in stillen Abendschatten ruhend
Der Juengling mit dem Ton der Harfe schluerft;
Und was wir thun ist, wie es ihnen war,
Voll Mueh' und eitel Stueckwerk!
So laufen wir nach dem, was vor uns flieht,
Und achten nicht des Weges den wir treten,
und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach,
Der goettergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen Wolken kroent.
Ich halte nichts von dem, der von sich denkt
Wie ihn das Volk vielleicht erheben moechte.
Allein, o Juengling, danke du den Goettern,
Dass sie so frueh durch dich so viel gethan.

Orest.
Wenn sie dem Menschen frohe That bescheren
Dass er ein Unheil von den Seinen wendet,
Dass er sein Reich vermehrt, die Graenzen sichert,
Und alte Feinde fallen oder fliehn;
Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erste, letzte Lust gegoennt.
Mich haben sie zum Schlaechter auserkoren,
Zum Moerder meiner doch verehrten Mutter,
Und, eine Schandthat schaendlich raechend, mich
Durch ihren Wink zu Grund' gerichtet. Glaube,
Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll
Nicht ehrenvoll vergehn.

Pylades.
Die Goetter raechen
Der Vaeter Missethat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder boese, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner That hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.

Orest.
Uns fuehrt ihr Segen, duenkt mich, nicht hierher.

Pylades.
Doch wenigstens der hohen Goetter Wille.

Orest.
So ist's ihr Wille denn, der uns verderbt.

Pylades.
Thu' was sie dir gebieten und erwarte.
Bringst du die Schwester zu Apollen hin,
Und wohnen beide dann vereint zu Delphi,
Verehrt von einem Volk das edel denkt;
So wird fuer diese That das hohe Paar
Dir gnaedig sein, sie werden aus der Hand
Der Unterird'schen dich erretten. Schon
In diesen heil'gen Hain wagt keine sich.

Orest.
So hab' ich wenigstens geruh'gen Tod.

Pylades.
Ganz anders denk' ich, und nicht ungeschickt
Hab' ich das schon Geschehne mit dem Kuenft'gen
Verbunden und im stillen ausgelegt.
Vielleicht reift in der Goetter Rath schon lange
Das grosse Werk. Diana sehnet sich
Von diesem rauhen Ufer der Barbaren
Und ihren blut'gen Menschenopfern weg.
Wir waren zu der schoenen That bestimmt,
Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind
Wir an der Pforte schon gezwungen hier.

Orest.
Mit seltner Kunst flichtst du der Goetter Rath
Und deine Wuensche klug in Eins zusammen.

Pylades.
Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht
Auf Jener Willen droben achtend lauscht?
Zu einer schweren That beruft ein Gott
Den edeln Mann, der viel verbrach, und legt
Ihm auf was uns unmoeglich scheint zu enden.
Es siegt der Held, und buessend dienet er
Den Goettern und der Welt, die ihn verehrt.

Orest.
Bin ich bestimmt zu leben und zu handeln,
So nehm' ein Gott von meiner schweren Stirn
Den Schwindel weg, der auf dem schluepfrigen,
Mit Mutterblut besprengten Pfade fort

Mich zu den Todten reisst. Er trockne gnaedig
Die Quelle, die, mir aus der Mutter Wunden
Entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt.

Pylades.
Erwart' es ruhiger! Du mehrst das uebel
Und nimmst das Amt der Furien auf dich.
Lass mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt,
Bedarf's zur That vereinter Kraefte, dann
Ruf' ich dich auf, und beide schreiten wir
Mit ueberlegter Kuehnheit zur Vollendung.

Orest.
Ich hoer' Ulyssen reden.

Pylades.
Spotte nicht.
Ein jeglicher muss seinen Helden waehlen,
Dem er die Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet. Lass es mich gestehn:
Mir scheinen List und Klugheit nicht den Mann
Zu schaenden, der sich kuehnen Thaten weiht.

Orest.
Ich schaetze den, der tapfer ist und g'rad.

Pylades.
Drum hab' ich keinen Rath von dir verlangt.
Schon ist ein Schritt gethan. Von unsern Waechtern
Hab' ich bisher gar vieles ausgelockt.
Ich weiss, ein fremdes, goettergleiches Weib
Haelt jenes blutige Gesetz gefesselt;
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet
Bringt sie den Goettern dar. Man ruehmet hoch
Die Guetige; man glaubet, sie entspringe
vom Stamm der Amazonen, sei geflohn,
Um einem grossen Unheil zu entgehn.

Orest.
Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
Durch des Verbrechers Naehe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.
Die fromme Blutgier loes't den alten Brauch
Von seinen Fesseln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Koenigs toedtet uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zuernt.

Pylades.
Wohl uns, dass es ein Weib ist! denn ein Mann,
Der beste selbst, gewoehnet seinen Geist
An Grausamkeit und macht sich auch zuletzt
Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz,
Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt staet auf Einem Sinn
Den sie gefasst. Du rechnest sicherer
Auf sie im Guten wie im Boesen.--Still!
Sie kommt; lass uns allein. Ich darf nicht gleich
Ihr unsre Namen nennen, unser Schicksal
Nicht ohne Rueckhalt ihr vertraun. Du gehst,
Und eh' sie mit dir spricht, treff' ich dich noch.