Iphigenie. Thoas.
Iphigenie. Mit koeniglichen Guetern segne dich Die Goettin! Sie gewaehre Sieg und Ruhm Und Reichthum und das Wohl der Deinigen Und jedes frommen Wunsches Fuelle dir! Dass, der du ueber viele sorgend herrschest, Du auch vor vielen seltnes Glueck geniessest.
Thoas. Zufrieden waer' ich wenn mein Volk mich ruehmte: Was ich erwarb, geniessen andre mehr Als ich. Der ist am gluecklichsten, er sei Ein Koenig oder ein Geringer, dem In seinem Hause Wohl bereitet ist. Du nahmest Theil an meinen tiefen Schmerzen, Als mir das Schwert der Feinde meinen Sohn, Den letzten, besten, von der Seite riss. So lang die Rache meinen Geist besass, Empfand ich nicht die oede meiner Wohnung; Doch jetzt, da ich befriedigt wiederkehre, Ihr Reich zerstoert, mein Sohn gerochen ist, Bleibt mir zu Hause nichts das mich ergetze. Der froehliche Gehorsam, den ich sonst Aus einem jeden Auge blicken sah, Ist nun von Sorg' und Unmuth still gedaempft. Ein jeder sinnt was kuenftig werden wird, Und folgt dem Kinderlosen, weil er muss. Nun komm' ich heut in diesen Tempel, den Ich oft betrat, um Sieg zu bitten und Fuer Sieg zu danken. Einen alten Wunsch Trag' ich im Busen, der auch dir nicht fremd Noch unerwartet ist: ich hoffe, dich, Zum Segen meines Volks und mir zum Segen, Als Braut in meine Wohnung einzufuehren.
Iphigenie. Der Unbekannten bietest du zu viel, O Koenig, an. Es steht die Fluechtige Beschaemt vor dir, die nichts an diesem Ufer Als Schutz und Ruhe sucht, die du ihr gabst.
Thoas. Dass du in das Geheimniss deiner Ankunft Vor mir wie vor dem Letzten stets dich huellest, Waer' unter keinem Volke recht und gut. Diess Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz Gebietet's und die Noth. Allein von dir, Die jedes frommen Rechts geniesst, ein wohl Von uns empfangner Gast, nach eignem Sinn Und Willen ihres Tages sich erfreut, Von dir hofft' ich Vertrauen, das der Wirth Fuer seine Treue wohl erwarten darf.
Iphigenie. Verbarg ich meiner Eltern Namen und Mein Haus, o Koenig, war's Verlegenheit, Nicht Misstraun. Den vielleicht, ach wuesstest du Wer vor dir steht, und welch verwuenschtes Haupt Du naehrst und schuetzest, ein Entsetzen fasste Dein grosses Herz mit seltnem Schauer an, Und statt die Seite deines Thrones mir Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit Aus deinem Reiche; stiessest mich vielleicht, Eh' zu den Meinen frohe Rueckkehr mir Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist, Dem Elend zu, das jeden Schweifenden, Von seinem Haus Vertriebnen ueberall Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.
Thoas. Was auch der Rath der Goetter mit dir sei, Und was sie deinem Haus und dir gedenken; So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst Und eines frommen Gastes Recht geniessest, An Segen nicht, der mir von oben kommt. Ich moechte schwer zu ueberreden sein, Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschuetze.
Iphigenie. Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast.
Thoas. Was man Verruchten thut wird nicht gesegnet. Drum endige dein Schweigen und dein Weigern; Es fordert diess kein ungerechter Mann. Die Goettin uebergab dich meinen Haenden; Wie du ihr heilig warst, so warst du's mir. Auch sei ihr Wink noch kuenftig mein Gesetz: Wenn du nach Hause Rueckkehr hoffen kannst, So sprech' ich dich von aller Fordrung los. Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt, Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch Ein ungeheures Unheil ausgeloescht, So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz. Sprich offen! und du weisst, ich halte Wort.
Iphigenie. Vom alten Bande loeset ungern sich Die Zunge los, ein lang verschwiegenes Geheimniss endlich zu entdecken; denn Einmal vertraut, verlaesst es ohne Rueckkehr Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet, Wie es die Goetter wollen, oder nuetzt. Vernimm! ich bin aus Tantalus Geschlecht.
Thoas. Du sprichst ein grosses Wort gelassen aus. Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt Als einen ehmals Hochbegnadigten Der Goetter kennt? Ist's jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog, An dessen alterfahrnen, vielen Sinn Verknuepfenden Gespraechen Goetter selbst, Wie an Orakelspruechen, sich ergetzten?
Iphigenie. Er ist es; aber Goetter sollten nicht Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wandeln; Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach In ungewohnter Hoehe nicht zu schwindeln. Unedel war er nicht und kein Verraether; Allein zum Knecht zu gross, und zum Gesellen Des grossen Donnrers nur ein Mensch. So war Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht War streng, und Dichter singen: uebermuth Und Untreu' stuerzten ihn von Jovis Tisch Zur Schmach des alten Tartarus hinab. Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass!
Thoas. Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?
Iphigenie. Zwar die gewalt'ge Brust und der Titanen Kraftvolles Mark war seiner Soehn' und Enkel Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band. Rath, Maessigung und Weisheit und Geduld Verbarg er ihrem scheuen duestern Blick; Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier, Und graenzenlos drang ihre Wuth umher. Schon Pelops, der Gewaltig-wollende, Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb Sich durch Verrath und Mord das schoenste Weib, oenomaus Erzeugte, Hippodamien. Sie bringt den Wuenschen des Gemahls zwei Soehne, Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn Aus einem andern Bette wachsend an. Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt Das Paar im Brudermord die erste That. Der Vater waehnet Hippodamien Die Moerderin, und grimmig fordert er Von ihr den Sohn zurueck, und sie entleibt Sich selbst--
Thoas. Du schweigest? Fahre fort zu reden! Lass dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!
Iphigenie. Wohl dem, der seiner Vaeter gern gedenkt, Der froh von ihren Thaten, ihrer Groesse Den Hoerer unterhaelt, und still sich freuend An's Ende dieser schoenen Reihe sich Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer; Erst eine Reihe Boeser oder Guter Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude Der Welt hervor.--Nach ihres Vaters Tode Gebieten Atreus und Thyest der Stadt, Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest Des Bruders Bette. Raechend treibet Atreus Ihn aus dem Reiche. Tueckisch hatte schon Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen. Dem fuellet er die Brust mit Wuth und Rache Und sendet ihn zur Koenigsstadt, dass er Im Oheim seinen eignen Vater morde. Des Juenglings Vorsatz wird entdeckt: der Koenig Straft grausam den gesandten Moerder, waehnend, Er toedte seines Bruders Sohn. Zu spaet Erfaehrt er, wer vor seinen trunknen Augen Gemartert stirbt; und die Begier der Rache Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still Auf unerhoerte That. Er scheint gelassen Gleichgueltig und versoehnt, und lockt den Bruder Mit seinen beiden Soehnen in das Reich Zurueck, ergreift die Knaben, schlachtet sie, Und setzt die ekle schaudervolle Speise Dem Vater bei dem ersten Mahle vor. Und da Thyest an seinem Fleische sich Gesaettigt, eine Wehmuth ihn ergreift, Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme Der Knaben an des Saales Thuere schon Zu hoeren glaubt, wirft Atreus grinsend Ihm Haupt und Fuesse der Erschlagnen hin.-- Du wendest schaudernd dein Gesicht, o Koenig: So wendete die Sonn' ihr Antlitz weg Und ihren Wagen aus dem ewg'en Gleise. Diess sind die Ahnherrn deiner Priesterin; Und viel unseliges Geschick der Maenner, Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt Die Nacht mit schweren Fittigen und laesst Uns nur die grauenvolle Daemmrung sehn.
Thoas. Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug Der Graeuel! Sage nun, durch welch ein Wunder Von diesem wilden Stamme du entsprangst.
Iphigenie. Des Altreus aelt'ster Sohn war Agamemnon: Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen, In ihm hab' ich seit meiner ersten Zeit Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn. Ihm brachte Klytaemnestra mich, den Erstling Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte Der Koenig, und es war dem Hause Tantals Die lang entbehrte Rast gewaehrt. Allein Es mangelte dem Glueck der Eltern noch Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfuellt, Dass zwischen beiden Schwestern nun Orest Der Liebling wuchs, als neues uebel schon Dem sichern Hause zubereitet war. Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen, Der, um den Raub der schoensten Frau zu raechen, Die ganze Macht der Fuersten Griechenlands Um Trojens Mauern lagerte. Ob sie Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater fuehrte Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie Auf guenst'gen Wind vergebens: denn Diane, Erzuernt auf ihren grossen Fuehrer, hielt Die Eilenden zurueck und forderte Durch Kalchas Mund des Koenigs aelt'ste Tochter. Sie lockten mit der Mutter mich in's Lager; Sie rissen mich vor den Altar und weihten Der Goettin dieses Haupt. Sie war versoehnt: Sie wollte nicht mein Blut und huellte rettend In eine Wolke mich; in diesem Tempel Erkannt ich mich zuerst vom Tode wieder. Ich bin es selbst, bin Iphigenie, Des Altreus Enkel, Agamemnons Tochter, Der Goettin Eigenthum, die mit dir spricht.
Thoas. Mehr Vorzug und Vertrauen geb' ich nicht Der Koenigstochter als der Unbekannten. Ich wiederhole meinen ersten Antrag: Komm, folge mir, und theile was ich habe.
Iphigenie. Wie darf ich solchen Schritt, o Koenig, wagen? Hat nicht die Goettin, die mich rettete, Allein das Recht auf mein geweihtes Leben? Sie hat fuer mich den Schutzort ausgesucht, Und sie bewahrt mich einem Vater, den Sie durch den Schein genug gestraft, vielleicht Zur schoensten Freude seines Alters hier. Vielleicht ist mir die frohe Rueckkehr nah; Und ich, auf ihren Weg nicht achtend, haette Mich wider ihren Willen hier gefesselt? Ein Zeichen bat ich, wenn ich bleiben sollte.
Thoas. Das Zeichen ist, dass du noch hier verweilst. Such' Ausflucht solcher Art nicht aengstlich auf. Man spricht vergebens viel, um zu versagen; Der andre hoert von allem nur das Nein.
Iphigenie. Nicht Worte sind es, die nur blenden sollen; Ich habe dir mein tiefstes Herz entdeckt. Und sagst du dir nicht selbst, wie ich dem Vater, Der Mutter, den Geschwistern mich entgegen Mit aengstlichen Gefuehlen sehnen muss? Dass in den alten Hallen, wo die Trauer Noch manchmal stille meinen Namen lispelt, Die Freude, wie um eine Neugeborne, Den schoensten Kranz von Saeul an Saeulen schlinge. O sendetest du mich auf Schiffen hin! Du gaebest mir und allen neues Leben.
Thoas. So kehr' zurueck! Thu' was dein Herz dich heisst, Und hoere nicht die Stimme guten Raths Und der Vernunft. Sei ganz ein Weib und gib Dich hin dem Triebe, der dich zuegellos Ergreift und dahin oder dorthin reisst. Wenn ihnen eine Lust im Busen brennt, Haelt vom Verraether sie kein heilig Band, Der sie dem Vater oder dem Gemahl Aus langbewaehrten, treuen Armen lockt; Und schweigt in ihrer Brust die rasche Gluth, So dringt auf sie vergebens treu und maechtig Der ueberredung goldne Zunge los.
Iphigenie. Gedenk', o Koenig, deines edeln Wortes! Willst du mein Zutraun so erwiedern? Du Schienst vorbereitet alles zu vernehmen.
Thoas. Auf's Ungehoffte war ich nicht bereitet; Doch sollt' ich's auch erwarten: wusst' ich nicht, Dass ich mit einem Weibe handeln ging?
Iphigenie. Schilt nicht, o Koenig, unser arm Geschlecht. Nicht herrlich wie die euern, aber nicht Unedel sind die Waffen eines Weibes. Glaub' es, darin bin ich dir vorzuziehn, Dass ich dein Glueck mehr als du selber kenne. Du waehnest, unbekannt mit dir und mir, Ein naeher Band werd' uns zum Glueck vereinen. Voll guten Muthes wie voll guten Willens Dringst du in mich, dass ich mich fuegen soll; Und hier dank' ich den Goettern, dass sie mir Die Festigkeit gegeben, dieses Buendniss Nicht einzugehen, das sie nicht gebilligt.
Thoas. Es spricht kein Gott; es spricht dein eignes Herz.
Iphigenie. Sie reden nur durch unser Herz zu uns.
Thoas. Und hab' Ich, sie zu hoeren, nicht das Recht?
Iphigenie. Es ueberbraust der Sturm die zarte Stimme.
Thoas. Die Priesterin vernimmt sie wohl allein?
Iphigenie. Vor allen andern merke sie der Fuerst.
Thoas. Dein heilig Amt und dein geerbtes Recht An Jovis Tisch bringt dich den Goettern naeher, Als einen erdgebornen Wilden.
Iphigenie. So Buess' ich nun das Vertraun, das du erzwangst.
Thoas. Ich bin ein Mensch; und besser ist's, wir enden. So bleibe denn mein Wort: Sei Priesterin Der Goettin, wie sie dich erkoren hat; Doch mir verzeih' Diane, dass ich ihr, Bisher mit Unrecht und mit innerm Vorwurf, Die alten Opfer vorenthalten habe. Kein Fremder nahet gluecklich unserm Ufer; Von Alters her ist ihm der Tod gewiss. Nur du hast mich mit einer Freundlichkeit, In der ich bald der zarten Tochter Liebe, Bald stille Neigung einer Braut zu sehn Mich tief erfreute, wie mit Zauberbanden Gefesselt, dass ich meiner Pflicht vergass. Du hattest mir die Sinnen eingewiegt, Das Murren meines Volks vernahm ich nicht; Nun rufen sie die Schuld von meines Sohnes Fruehzeit'gem Tode lauter ueber mich. Um deinetwillen halt' ich laenger nicht Die Menge, die das Opfer dringend fordert.
Iphigenie. Um meinetwillen hab ich's nie begehrt. Der missversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig waehnt; er dichtet ihnen nur Dir eignen grausamen Begierden an. Entzog die Goettin mich nicht selbst dem Priester? Ihr war mein Dienst willkommner, als mein Tod.
Thoas. Es ziemt sich nicht fuer uns, den heiligen Gebrauch mit leicht beweglicher Vernunft Nach unserm Sinn zu deuten und zu lenken. Thu' deine Pflicht, ich werde meine thun. Zwei Fremde, die wir in des Ufers Hoehlen Versteckt gefunden, und die meinem Lande Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand. Mit diesen nehme deine Goettin wieder Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer! Ich sende sie hierher; du weisst den Dienst.
Iphigenie (allein). Du hast Wolken, gnaedige Retterin, Einzuhuellen unschuldig Verfolgte, Und auf Winden dem ehrnen Geschick sie Aus den Armen, ueber das Meer, ueber der Erde weiteste Strecken Und wohin es dir gut duenkt zu tragen. Weise bist du und siehest das Kuenftige; Nicht vorueber ist dir das Vergangne, Und dein Blick ruht ueber den Deinen Wie dein Licht, das Leben der Naechte, ueber der Erde ruhet und waltet. O enthalte vom Blut meine Haende! Nimmer bringt es Segen und Ruhe; Und die Gestalt des zufaellig Ermordeten Wird auf des traurig-unwilligen Moerders Boese Stunden lauern und schrecken. Denn die Unsterblichen lieben der Menschen Weit verbreitete gute Geschlechter, Und sie fristen das fluechtige Leben Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne Ihres eigenen, ewigen Himmels Mitgeniessendes froehliches Anschaun Eine Weile goennen und lassen.
|