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Iphigenie. Thoas.

Iphigenie.
Du forderst mich! was bringt dich zu uns her?

Thoas.
Du schiebst das Opfer auf; sag' an, warum?

Iphigenie.
Ich hab' an Arkas alles klar erzaehlt.

Thoas.
Von dir moecht' ich es weiter noch vernehmen.

Iphigenie.
Die Goettin gibt dir Frist zur ueberlegung.

Thoas.
Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist.

Iphigenie.
Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluss
Verhaertet ist: so solltest du nicht kommen!
Ein Koenig, der Unmenschliches verlangt,
Find't Diener g'nug, die gegen Gnad' und Lohn
Den halben Fluch der That begierig fassen;
Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt.
Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke,
Und seine Boten bringen flammendes
Verderben auf des Armen Haupt hinab;
Er aber schwebt durch seine Hoehen ruhig,
Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.

Thoas.
Die heil'ge Lippe toent ein wildes Lied.

Iphigenie.
Nicht Priesterin! nur Agamemnons Tochter.
Der Unbekannten Wort verehrtest du;
Der Fuerstin willst du rasch gebieten? Nein!
Von Jugend auf hab' ich gelernt gehorchen,
Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit,
Und folgsam fuehlt' ich immer meine Seele
Am schoensten frei; allein dem harten Worte,
Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich
Zu fuegen, lernt' ich weder dort noch hier.

Thoas.
Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir.

Iphigenie.
Wir fassen ein Gesetz begierig an,
Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient.
Ein andres spricht zu mir, ein aelteres,
Mich dir zu widersetzen, das Gebot,
Dem jeder Fremde heilig ist.

Thoas.
Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah
Am Herzen: denn vor Antheil und Bewegung
Vergissest du der Klugheit erstes Wort,
Dass man den Maechtigen nicht reizen soll.

Iphigenie.
Red' oder schweig' ich, immer kannst du wissen,
Was mir im Herzen ist und immer bleibt.
Loes't die Erinnerung des gleichen Schicksals
Nicht ein verschloss'nes Herz zum Mitleid auf?
Wie mehr denn meins! In ihnen seh' ich mich.
Ich habe vor'm Altare selbst gezittert,
Und feierlich umgab der fruehe Tod
Die Knieende; das Messer zuckte schon,
Den lebenvollen Busen zu durchbohren;
Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich,
Mein Auge brach, und--ich fand mich gerettet.
Sind wir, was Goetter gnaedig uns gewaehrt,
Ungluecklichen nicht zu erstatten schuldig?
Du weisst es, kennst mich, und du willst mich zwingen!

Thoas.
Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn.

Iphigenie.
Lass ab! Beschoenige nicht die Gewalt,
Die sich der Schwachheit eines Weibes freut.
Ich bin so frei geboren als ein Mann.
Stuend' Agamemnons Sohn dir gegenueber,
Und du verlangtest was sich nicht gebuehrt:
So hat auch Er ein Schwert und einen Arm,
Die Rechte seines Busens zu verteid'gen.
Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
Dem edeln Mann, der Frauen Wort zu achten.

Thoas.
Ich acht' es mehr als eines Bruders Schwert.

Iphigenie.
Das Loos der Waffen wechselt hin und her:
Kein kluger Streiter haelt den Feind gering.
Auch ohne Huelfe gegen Trutz und Haerte
Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen.
Sie gab zur List ihm Freude, lehrt' ihn Kuenste;
Bald weicht er aus, verspaetet und umgeht.
Ja, der Gewaltige verdient, dass man sie uebt.

Thoas.
Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen.

Iphigenie.
Und eine reine Seele braucht sie nicht.

Thoas.
Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urtheil.

Iphigenie.
O saehest du wie meine Seele kaempft,
Ein boes Geschick, das sie ergreifen will,
Im ersten Anfall muthig abzutreiben!
So steh' ich denn hier wehrlos gegen dich?
Die schoene Bitte, den anmuth'gen Zweig,
In einer Frauen Hand gewaltiger
Als Schwert und Waffe, stoessest du zurueck:
Was bleibt mir nun, mein Innres zu verteid'gen?
Ruf' ich die Goettin um ein Wunder an?
Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?

Thoas.
Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht
Unmaessig dich besorgt. Wer sind sie? sprich,
Fuer die dein Geist gewaltig sich erhebt?

Iphigenie.
Sie sind--sie scheinen--fuer Griechen halt' ich sie.

Thoas.
Landsleute sind es? und sie haben wohl
Der Rueckkehr schoenes Bild in dir erneut?

Iphigenie (nach einigem Stillschweigen).
Hat denn zur unerhoerten That der Mann
Allein das Recht? Drueckt denn Unmoegliches
Nur Er an die gewalt'ge Heldenbrust?
Was nennt man gross? Was hebt die Seele schaudernd
Dem immer wiederholenden Erzaehler?
Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg
Der Muthigste begann. Der in der Nacht
Allein das Heer des Feindes ueberschleicht,
Wie unversehen eine Flamme wuethend
Die Schlafenden, Erwachenden ergreift,
Zuletzt gedraengt von den Ermunterten
Auf Feindes Pferden, doch mit Beute kehrt,
Wird der allein gepriesen? der allein,
Der, einen sichern Weg verachtend, kuehn
Gebirg' und Waelder durchzustreifen geht,
Dass er von Raeubern eine Gegend saeubre?
Ist uns nichts uebrig? Muss ein zartes Weib
Sich ihres angebornen Rechts entaeussern,
Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen
Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute
Die Unterdrueckung raechen? Auf und ab
Steigt in der Brust ein kuehnes Unternehmen:
Ich werde grossem Vorwurf nicht entgehn,
Noch schwerem uebel wenn es mir misslingt;
Allein Euch leg' ich's auf die Kniee! Wenn
Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet;
So zeigt's durch euern Beistand und verherrlicht
Durch mich die Wahrheit!--Ja, vernimm, o Koenig,
Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet;
Vergebens fragst du den Gefangnen nach;
Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde,
Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf.
Der aelt'ste, den das uebel hier ergriffen
Und nun verlassen hat--es ist Orest,
Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter,
Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades.
Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer
Mit goettlichen Befehlen zu, das Bild
Dianens wegzurauben und zu ihm
Die Schwester hinzubringen, und dafuer
Verspricht er dem von Furien Verfolgten,
Des Mutterblutes Schuldigen, Befreiung.
Uns beide hab' ich nun, die ueberbliebnen
Von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:
Verdirb uns--wenn du darfst.

Thoas.
Du glaubst, es hoere
Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme
Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus,
Der Grieche, nicht vernahm?

Iphigenie.
Es hoert sie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Busen rein
Und ungehindert fliesst.--Was sinnst du mir,
O Koenig, schweigend in der tiefen Seele?
Ist es Verderben? so toedte mich zuerst!
Denn nun empfind' ich, da uns keine Rettung
Mehr uebrig bleibt, die graessliche Gefahr,
Worein ich die Geliebten uebereilt
Vorsetzlich stuerzte. Weh! ich werde sie
Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken
Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen,
Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
Mehr in die vielgeliebten Augen schaun!

Thoas.
So haben die Betrueger kuenstlich-dichtend
Der lang Verschloss'nen, ihre Wuensche leicht
Und willig Glaubenden, ein solch Gespinnst
Um's Haupt geworfen!

Iphigenie.
Nein! o Koenig, nein!
Ich koennte hintergangen werden; diese
Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden,
So lass sie fallen und verstosse mich,
Verbanne mich zur Strafe meiner Thorheit
An einer Klippen-Insel traurig Ufer.
Ist aber dieser Mann der lang erflehte,
Geliebte Bruder: so entlass uns, sei
Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich!
Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld,
Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung
Von Atreus Stamme ruht auf ihm allein.
Lass mich mit reinem Herzen, reiner Hand,
Hinuebergehn und unser Haus entsuehnen.
Du haeltst mir Wort!--Wenn zu den Meinen je
Mir Rueckkehr zubereitet waere, schwurst
Du mich zu lassen; und sie ist es nun.
Ein Koenig sagt nicht, wie gemeine Menschen,
Verlegen zu, dass er den Bittenden
Auf einen Augenblick entferne; noch
Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft:
Dann fuehlt er erst die Hoehe seiner Wuerde,
Wenn er den Harrenden begluecken kann.

Thoas.
Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser
Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind
Zu Tilgen sucht, so wehret sich der Zorn
In meinem Busen gegen deine Worte.

Iphigenie.
O lass die Gnade, wie das heil'ge Licht
Der stillen Opferflamme, mir, umkraenzt
Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern.

Thoas.
Wie oft besaenftigte mich diese Stimme!

Iphigenie.
O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen.

Thoas.
Du forderst viel in einer kurzen Zeit.

Iphigenie.
Um Gut's zu thun braucht's keiner ueberlegung.

Thoas.
Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das uebel.

Iphigenie.
Der Zweifel ist's, der Gutes boese macht.
Bedenke nicht; gewaehre, wie du's fuehlst.